Dieter Stöver - Poesie des Erdhaften 1979

Dieter Stövers Bilder sind Zeichen in sich ruhender Bewegung: Landschaft wird zum erfühlten Gleichnis für den ewigen Gegensatz von Statik und Dynamik einer letztlich undurchschaubaren kosmischen Ordnung. Ausschnitthaft nah werden Erdformationen herangeholt, kein Mensch, wenig Himmel, nur der Charakter der Erde und ganz sparsam die auf ihr befindlichen Spuren menschlicher Arbeit, wie Wege, Feldlinien oder Pflanzungen. Diese Themenwahl ist Programm. Sie weist auf die Abkehr von einer jahrzehntelang ich-bezogenen Darstellung der Landschaft, hin zu einer Beschäftigung mit deren vorgegebenen Strukturen. Das scheinbar Unbedeutende, Triviale wird zum beherrschenden Monument einer geschlossenen Ordnung, deren Wesenskern meditativ bloß gelegt wird. Dieses Bloßlegen schildert eben so sehr die spezifischen Merkmale einer Einzellandschaft, wie es diese auch in den Gesamtzusammenhang des Kosmischen einbindet. Landschaft wird zu sich selbst gebracht, gereinigt, ja sie regeneriert trotz Berührung durch den Menschen zur unwirklich entrückten Poesie fiktiver Unberührtheit. Und in diese Poesie ist der Mensch durch die Einbeziehung seiner Zeichen bergend mit eingeschlossen.

Den Charakter des Unberührten, einer fast magischen Distanz, gepaart mit dem Eindruck unendlicher Stille schöpfen Stövers Bilder aus der Schichtung ihrer Farben: Eine nicht selten verkrustete, erdhafte Oberschicht - in ihren gebrochenen Gelb-, Braun-, Orange- und sparsamen Grün-, Grau- und Blautönen ganz Stille - wird durch reine Farben unterlegt die durch die transparent-gebrochenen Erdtöne hindurchschimmern und die gesamte Landschaft mit einem sanften Strahlen überfluten. Werden Poesie und Stille ganz aus der Farbe entwickelt, so erzielt Stöver Bewegung - das dritte Hauptcharakteristikum seiner Bild weit - durch Material und Form. Rohmaterialien wie Sackleinen und grober Sand verleihen seinen Arbeiten eine stoffliche Bewegtheit der die offene Form des Sujets korrespondiert: Ohne Anfang und ohne Ende, immer scheinbar nur Ausschnitt aus einer unendlichen Kette von Landschaften, dazuhin noch asymmetrisch angeordnet, atmen seine Schöpfungen das Wesen des Unfertigen. Ganz bewußt meidet Stöver die Verwendung von geschlossen-perfekten Formen, die in ihrer Vollkommenheit ornamentaler Symmetrie ein geschlossenes Weltbild andeuten würden. Denn seine Kunst hat ja das genaue Gegenteil zum Inhalt: Die Offenheit für die ganze Fülle des Seins. Dieter Stöver ist der Vertreter einer neuen Richtung in der zeitgenössischen Landschaftsmalerei: Der Suche nach Rückgewinnung des kosmischen Bezugs mit den Mitteln der Farbe und des Materials.

Rainer Beck